Liebes Tagebuch,
ich hätte nicht gedacht, dass ich jemals 100 Tagebucheinträge schreiben würde. Ich hatte damals wirklich überhaupt keine Lust dazu. Doch ich hätte noch viel weniger gedacht, dass mein 100. Eintrag einen so unglaublich traurigen Grund haben würde.
Ich wurde am Freitag von der Polizei kontaktiert und war nun heute bei ihnen auf der Wache, um meine Aussage zu machen. Dabei habe ich auch von ihnen weitere Infomationen bekommen. So, wie es aktuell scheint, hat der Freund meiner Patientin sie Zuhause besucht und es kam wohl zu einem Streit. Es wurde handreiflich. Beide haben Abwehrverletzungen, aber auch Abschüfungen, die dazu passen, dass beide ebenfalls zugeschlagen haben. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wurde meine Patientin tödlich mit einem Messer verletzt und daraufhin scheint sich ihr Freund selbst die Pulsandern aufgeschnitten zu haben.
Zeitlich scheint das alles zu der Zeit, als ich auf sie in der Praxis gewartet habe, geschehen zu sein.
Ich bin völlig fertig und habe erst einmal für heute und morgen alle Termine verschoben. Ich kann kaum geradeaus denken. Ich frage mich die ganze Zeit, ob ich es hätte merken müssen, dass die Lage so ernst ist, ob ich etwas hätte unternehmen müssen, ob ich es hätte verhindern können.
Ich lese mir immer und immer wieder meine Notizen von den Treffen mit ihr durch. Aber ich finde einfach keine Antworten auf meine Fragen.
Das einzige, was sicher ist, ist dass zwei Familien jemanden verloren haben und das viel zu früh und völlig sinnlos.
Sie hatte noch so viel vor. Hatte nie wirklich viel Geld, wollte aber immer ganz viel reisen und versuchte deshalb möglichst viel Geld zu sparen, um sich ihren großen Traum, eine Reise nach Südamerika, zu erfüllen. Das wird sie nun niemals mehr erleben. Das tut mir unglaublich leid. Ich wünschte, ich hätte bemerkt, wie ernst die Lage ist.
Schreibe einen Kommentar