Tagebucheintrag 52

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Liebes Tagebuch,

heute war Tobi wieder da. Es geht ihm nicht gut. Er meinte, er hätte sich kaum nach Hause getraut, weil er so große Angst davor gehabt hätte, dass er seiner Nachbarin begegnet.

Ich hatte mir bei unserem letzten Termin viele Notizen gemacht und habe diese fleißig für mich aufgearbeitet. Für mich ist die Lösung klar: Die Nachbarin ist eine egoistische Ziege (ist mir schon klar, dass das kein Fachausdruck ist), die nur an sich denkt und zu keinerlei Kompromissen bereit ist. Auch scheint es mir so zu sein, dass sie, sollte man auf Konfrontation gehen, sie ebenfalls ihr schlechtes Verhalten steigern wird. Und da sie eindeutig, im Gegensatz zu Tobi, kein Problem mit Streit hat, wird sie solche Machtkämpfe auf jeden Fall gewinnen. Also muss die Lösung woanders liegen. Ich hatte da einige Ideen, mir ist es allerdings sehr wichtig, dass Tobi „selbst“ auf die Lösungen kommt. Er hatte ja auch die Idee mit seiner Nachbarin zu reden und das ist ja auch der Grund für den ganzen Schlamassel.

Ich ging noch einmal einige Punkte unseres letzten Gesprächs mit ihm durch (eher als „Ablenkung“, um ihn langsam zur Lösungsfindung zu führen). Wir kamen irgendwann an den Punkt, dass seine Nachbarin meinte, er könne ja selbst seine Musik lauter machen. Ich fragte ihn, was er von dieser Idee halten würde. Er lehnte sofort ab. Er meinte, dass das schließlich dann auch die anderen Nachbarn stören würde. Er würde schließlich in einem Mehrfamilienhaus leben und könnte das nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, seine Nachbarn zu stören. Außerdem würde er laute Musik gar nicht mögen.

Jetzt musste ich ihn vorsichtig weiterführen, meine Lösungsidee Nr. 1 war zum Greifen nahe. Ich fragte ihn, wie genau denn die Aufteilung im Haus wäre. Er erklärte, dass er und seine fiese Nachbarin ganz oben wohnen würde. Er ganz außen, sie in der Mitte und auf der anderen Seite würde eine nette Familie wohnen. Unter ihnen würden auch Familien und ein alleinstehender Rentner wohnen. Ich fragte ihn, wie sein Verhältnis zu diesen Nachbarn sei. Er meinte, man würde sich höflich grüßen und hier und da auch einmal Smalltalk machen.

Ich nickte interessiert und wiederholte seine vorherige Aussage, dass er eben diese Nachbarn nicht stören wollen würde. Er bejahte. Noch hatte es leider nicht „klick“ bei ihm gemacht. Ich musste weiter nachbohren. Ich fragte ihn, ob seine Nachbarn denn auch manchmal laut seien. Er erzählte, dass eine Familie einmal eine laute Party hatten, da die Tochter ihren 18. Geburtstag gefeiert hatte. Doch sie hätten vorher im Hausflur Aushänge gemacht und die Nachbar vorgewarnt und um Verständnis gebeten. Tobi meinte sofort, dass er das absolut in Ordnung gefunden hat. Sonst wäre diese Familie ja auch immer unauffällig. Ich meinte, dass das die anderen Nachbarn bestimmt auch so gesehen hätten. Das sie sicherlich dankbar für diese Offenheit gewesen sind. Eine Gemeinschaft könne ja nur gemeinsam funktionieren und nur, wenn alle Rücksicht aufeinander nehmen und offen sind. Tobi pflichtete mir bei und begann mir andere Beispiele zu nennen, bei denen die Gemeinschaft in seinem Haus gut funktioniert hätte.

Ich hatte ihn fast soweit! Plötzlich stockte er und schaute mich an. Eigentlich sei nur diese eine Nachbarin nervig. Das müsse ja auch den anderen schon aufgefallen sein…oder? Er schaute mich erwartungsvoll an. Bingo!!! Ich erwiderte ganz ruhig, dass sich das ziemlich logisch anhören würde. Tobi fing an zu grinsen. Er könne ja einmal vorsichtig mit den Nachbarn unter und neben ihr reden, ob auch sie sich durch die laute Musik gestört fühlen würden. Ich pflichtete ihm bei, dass das eine gute Idee sei.

Da leider unsere Sitzung schon wieder zu Ende war, vereinbarten wir, dass er das Gespräch mit seinen Nachbarn bis zu unserem nächsten Treffen führen würde. Dann könnten wir dann direkt weiter planen.

Meine geheime Hoffnung bzw. mein Plan ist, dass Tobi und seine Nachbarn sich zusammen tun und sich bei der Vermietergesellschaft über die Nachbarin beschweren. Vielleicht würde das ihr Verhalten verändern. Ist natürlich nicht risikofrei, denn eine Beschwerde könnte die Nachbarin natürlich noch aggressiver werden lassen. Doch Tobi wäre wenigstens nicht mehr alleine mit dem Problem.