Liebes Tagebuch,
heute war es soweit. Mein erster „Außerhauspatiententermin“.
Ich habe ein Restaurant in der Bremer Innenstadt rausgesucht. So konnte ich problemlos mit der Straßenbahn fahren. Wer weiß, wie viel Alkohol Tobi und ich trinken müssen, damit er sich seinen Aufgaben stellen kann.
Das Restaurant war tatsächlich nicht sehr gut. Was für uns ja wiederum gut war.
Folgende Aufgaben habe ich mir für Tobi ausgedacht:
- den angebotenen Tisch ablehnen
- sich zunächst weigern die Kontaktdaten für die mögliche Coronarückverfolgung anzugeben
- Rechtschreibfehler in der Speisekarte finden und bei der Bedienung anmerken
- um ein neues Glas bitten (z.B. weil es dreckig ist, weil Eis in der Cola ist und man das nicht möchte, weil es Sprudel ist und man wollte stilles Wasser…)
- um frisches Besteck bitten, weil es dreckig ist
- um Pfeffer und Salz bitten
- das Essen nachwürzen, dann es aber trotzdem als ungenießbar zurückgehen lassen
- bei der Rechnung des Preis eines Punktes hinterfragen und zur Abklärung erneut nach der Speisekarte bitten
- sich das Rückgeld bis auf den letzten Pfennig auszahlen lassen (oder perfekt passend zahlen und vor der Bedienung noch einmal nachzählen)
Mir war natürlich klar, dass er nicht alle Aufgaben erledigen würde. Er sollte sich aber mindestens 4 Stück aussuchen.
Wir hatten uns an einer Ecke in der Nähe des Restaurants verabredet. Ich stellte ihm die möglichen Aufgaben vor und sah sofort an seinem Gesichtsausdruck, wie sehr er wegrennen wollte. Doch er war tapfer, suchte sich 4 Aufgaben aus und willigte ein mit mir essen zu gehen.
Leider durften wir uns den Tisch selber aussuchen, damit war die erste Aufgabe, die sich Tobi ausgesucht hatte, hinfällig und er musste eine neue nehmen.
Zum Glück war die Speisekarte voller Rechtschreibfehler. Tobi fiel es sehr schwer diese Fehler anzumerken, er entschuldigte sich mehrfach bei der Bedienung dafür und versicherte wiederholt, dass es ihn selbst ja gar nicht stören würde, aber doch vielleicht andere Gäste und davor würde er das Restaurant einfach gerne schützen wollen.
Erste Aufgabe also erledigt, wenn auch nicht so ganz wie geplant.
Erstaunlicherweise ist er bei der zweiten Aufgabe über sich selbst hinaus gewachsen. Er hatte eine Cola bestellt, behauptete dann, er hätte eine Cola Light bestellt und lies sie zurückgehen und sagte dann noch, dass sie doch bitte auf die Zitronenscheibe verzichten sollen. Ich war begeistert! Allerdings begannen wir beide uns unwohl zu fühlen, denn eigentlich sind wir beide nicht so. Wir würden beide eher die Cola trinken und sie nicht tauschen lassen und eine Zitronenscheibe wäre für uns auch kein Hindernis. Aber darum ging es hier nicht. Also mussten wir beide da durch.
Das Besteck war leider top sauber, aber Tobi bat um Pfeffer und Salz und das noch bevor das Essen kam.
Jetzt kam es dann aber zur „Endgegneraufgabe“. Tobi hatte gleich, noch beim Treffen an der Ecke, klargestellt, dass kein Trinkgeld zu zahlen für ihn nicht in Frage kam. Er meinte, es müsse schon richtig schlimm in einem Restaurant sein, damit er kein Trinkgeld gibt und, wenn wir die so sehr nerven, dann hätten sie ja auch auf jeden Fall ihr Trinkgeld verdient. Also blieb noch die Aufgabe des Essenszurückgehenlassens übrig. Als das Essen kam, konnte ich Tobis Widerwillen ihm nicht nur ansehen, sondern auch geradezu körperlich spüren. Er stocherte etwas in seinem Essen herum (ein sehr käsiger Tortelliniauflauf), probierte ein paar Bissen, schaute mich mit flehenden Augen an (ich nickte ihm aufmunternd zu) und rief an die Bedienung herbei. Er erklärte, dass das Essen einfach zu fade sei und muffig schmecken würde. Er hätte ja schon nachgewürzt, aber es wäre für ihn einfach nicht essbar. Er wurde dabei so blass, dass ich das Gefühl hatte, dass er mir gleich umkippen würde. Die Bedienung war zwar nicht besonders begeistert, aber bot eine Alternative an. Diese lehnte Tobi ab. Ich merkte, er wollte einfach nur weg. Ich bat daher darum, dass man meine Pizza einpacken würde. Das wurde promt erledigt.
Ich übernahm die Rechnung. Ich hatte nämlich Angst, dass Tobi ansonsten 100€ Trinkgeld geben würde und außerdem hatte er ja nur eine Cola getrunken.
Anschließend rannte Tobi geradezu aus dem Restaurant hinaus. Erst zurück an „unserer“ Ecke holte ich ihn wieder ein. Er sah völlig fertig aus. Ich hatte solches Mitleid und war gleichzeitig sehr stolz auf ihn.
Ich bat ihm an noch eine Runde spazieren zu gehen und über das Erlebte zu sprechen, doch Tobi lehnte ab. Er müsse jetzt erst einmal darüber alleine nachdenken und wird würden uns ja schon nächste Woche treffen. Dann könnten wir ja reden. Also verabschiedeten wir uns.
Ich ging allerdings nicht direkt zur Straßenbahn, sondern lungerte noch etwas in Sichtweite des Restaurants herum, da ich Angst hatte, dass Tobi zurückkommen würde, um sich bei der Bedienung zu entschuldigen. Doch er kam nicht. Erleichtert fuhr ich dann nach Hause.
Die Pizza habe ich übrigens in den nächsten Mülleimer entsorgt. Zu groß war die Angst vor eventueller Spuke der Bedienung. Nach unserem Auftritt hätte ich es ihr nicht einmal übel nehmen können.