Tagebucheintrag 27

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Liebes Tagebuch,

als ganz super professionelle Therapeutin behandele ich natürlich jeden Patienten gleich und ich baue keinerlei persönliche Beziehung zu ihnen auf. So zumindest die Theorie. In Wirklichkeit habe ich einen absoluten Lieblingspatienten.

Er ist unfassbar witzig und charmant. Ich konnte zunächst überhaupt nicht verstehen, wieso er einen Lebenscoach braucht. Doch es stellte sich leider heraus, dass er wirklich Hilfe benötigt. Er ist nämlich viel zu nett. Er lässt sich ausnutzen. Von einfach allen Menschen in seinem Umfeld. Das ist nicht der Grund, wieso er zu mir kommt. Sein Grund ist die Trennung von seinem letzten Partner. Es fällt ihm schwer darüber hinweg zu kommen. Doch meine (semi-) professionelle Meinung ist, dass das eindeutig mit seiner ausgeprägten Helferpersönlichkeit zusammenhängt.

Sein Partner fühlte sich wohl eingeengt von seiner Fürsorglichkeit und war genervt, weil er gleichzeitig nie wirklich für ihn da war, weil er immer irgendwo irgendjemanden geholfen hat.

Mein Patient (nennen wir ihn einfach Tobi), fällt es sehr schwer los zu lassen. Wahrscheinlich, weil er zwar die Gründe kennt, weshalb sein Freund ihn verlassen hat, sie aber nicht wirklich versteht.

Tobi macht mir wirklich viel Arbeit, denn ich will ihm unbedingt helfen. Doch das ist manchmal wirklich schwer, denn viele Dinge, die er erkennen und verstehen muss, werden ihm sehr wehtun und nicht einfach zu akzeptieren sein. Auch wird er sich sicherlich von einigen seiner Freundschaften lösen müssen. Diese sind nämlich keine wirklichen Freundschaften. Diese Menschen nutzen ihn nur aus. Das Schlimmste ist, dass das sich sogar bis in seine Familie hinein zieht. Seine Schwester zum Beispiel lässt ihn andauernd Hausmeister spielen. Er hätte schon einmal fast seinen Job verloren, weil er mehrfach zu spät zur Arbeit kam, weil er ihr immer wieder bei Notfällen im Haus helfen musste. Diese stellten sich dann aber häufig als Lappalie heraus. Dinge wie Spinne im Bad oder tropfender Wasserhahn.

Ich kann das alles einfach nur schwer mit ansehen. Tobi ist auf der einen Seite ein so witziger und sympathischer Mann und auf der anderen Seite so naiv und unsicher.

Er kommt nun seit ein paar Wochen zu mir. Es geht nur sehr langsam voran. Doch ich hoffe so sehr ihm wirklich helfen zu können.